Wahl 2024 —Unsere Fragen an B90/Die Grünen zur Landtagswahl Brandenburg

Die VVN-BdA ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Opfern des Naziregimes, deren Nachfahren und ihren Unterstützer*innen. Wir fühlen uns seit der Gründung dem Schwur von Buchenwald verpflichtet, den am 19. April 1945 ehemalige Häftlinge auf dem Appellplatz des befreiten KZ ablegten: „Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“  

Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir das Schreiben des grünen Landesvorstandes überhaupt beantworten und unsere Forderungen für ein Wahlprogramm übermitteln sollen.

Dies liegt zum einen daran, dass Bündnis 90/Die Grünen in der Regierungsverantwortung zuletzt wichtige Wahlversprechen – wie den Schutz des Asylrechtes oder das Verbot von Rüstungsexporten in Kriegsgebiete – gebrochen hat.

Außerdem befremdet es uns, dass besonders grüne Mitglieder der Bundesregierung – wie die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock – in den letzten Monaten dazu beigetragen haben, antimilitaristische und pazifistische Positionen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und die Verdienste der sowjetischen Soldaten bei der Befreiung Deutschlands vom NS-Regime nicht mehr in angemessener Weise zu würdigen. Annalena Baerbock warnte vor Kriegsmüdigkeit statt den Einsatz der international geächteten Streumunition zu verurteilen und sich für den Schutz derer einzusetzen, die sich dem Kriegseinsatz durch Desertion und Flucht entziehen wollen. Leider sind uns von den Grünen in Brandenburg keine Bemühungen bekannt, sich für eine verbale und tatsächliche Abrüstung einzusetzen. Auch das wirft natürlich die Frage auf, was wir mit einer Beantwortung des Briefes erreichen können.

Dennoch haben wir uns letztlich entschieden, diese Antwort an Sie zu senden. Wir wollen als größter NS-Opferverband im Land Brandenburg damit unsere konkreten Forderungen zu wichtigen Fragen der Landespolitik öffentlich geltend machen – gerade weil diese Forderungen bislang in der Arbeit der Landesregierung kaum eine Rolle spielen.

Für die Aufnahme in das Landtagswahlprogramm halten wir folgende konkreten Punkte für unverzichtbar:

  1. Tag der Befreiung soll Feiertag werden

Der 8. Mai soll als Tag der Befreiung Deutschlands von Naziregime offizieller Feiertag im Land Brandenburg werden.

Allerdings sollte es nicht bei einer bloßen Formalie bleiben. Dieser Tag sollte genutzt werden, um an diejenigen zu erinnern, die für die Befreiung Deutschlands ihr Leben verloren – also im Land Brandenburg in erster Linie an die Soldaten der Sowjetarmee.

Dazu müssen die sowjetischen Ehrenmäler landesweit in einen angemessenen Zustand versetzt und in diesem gehalten werden.

  1. Mitwirkung der VVN-BdA in Gremien und Beiräten der Gedenkstätten

Die VVN-BdA ist der größte NS-Opferverband im Land Brandenburg. Viele unserer Mitglieder verfügen über die fachliche Expertise zur Mitarbeit in den Gremien und Beiräten der Gedenkstätten. Dennoch wird die VVN-BdA bisher aus den fachlichen Diskussionen um die Gestaltung der Gedenkstätten und Erinnerungsorte im Land Brandenburg ausgeschlossen.

  1. Umsetzung des Geschichtsparks Klinkerwerk

Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG) plante seit den 90er Jahren an der Lehnitzer Schleuse in Oranienburg den Geschichtspark Klinkerwerk. Am Ort des KZ-Außenlagers Klinkerwerk, an dem die Nazis einst das Programm „Vernichtung durch Arbeit“ umsetzten, sollte ein Geschichtspark entstehen, der die Geschichte des Ortes nachvollziehbar macht. Leider konnte bis heute diese Idee nicht umgesetzt werden, weil die Landesregierung 2010 beschloss, die für den Geschichtspark vorgesehenen 2 Millionen Euro aus Geldern der Parteien und Massenorganisationen der DDR (PMO-Mittel) nun für den Aufbau der temporären Kapelle der Potsdamer Garnisonkirche einzusetzen. Die übriggebliebenen Mittel reichten nur noch für einen kleinen Gedenkort am Hafenbecken. Das Gelände des KZ-Außenlagers ist bis heute nicht von Bomben und Munition beräumt. Die bei der Bombardierung des Lagers verstorbenen Menschen liegen nur notdürftig in Bombentrichtern verscharrt.

Wir fordern erneut eine erinnerungspolitische Schwerpunktsetzung weg von der Subventionierung des Garnisonkirchenaufbaus hin zur Förderung des Geschichtsparks Klinkerwerk.

  1. Gedenkort für die Opfer des NS-Regimes in der Gedenkstätte Lindenstraße

Eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die durch das Land Brandenburg und die Landeshauptstadt Potsdam getragen wird, betreibt die Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam. Mehrfach haben Opferverbände der Verfolgten des Naziregimes – außer uns auch die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz und der Bund der „Euthanasie“‑Geschädigten und Zwangssterilisierten (BEZ) – gefordert, statt der Sammelgedenkstelle an der Skulptur „Das Opfer“ einen eigenen Gedenkort für die Opfer des NS-Regimes in oder vor der Gedenkstätte zu schaffen.

Der jetzige Gedenkort schließt auch NS-Täter*innen – z.B. Militärrichter oder Ärzte, die an der Zwangssterilisierung angeblich Erbkranker mitwirkten, wenn deren Verurteilungen später wegen Verfahrensfehlern aufgehoben wurden. Die Mitnutzung eines Gedenkortes, der auch von den Täter*innen genutzt wird, ist deren Opfern nicht zuzumuten.

  1. Antifaschistische Bildungsangebote an Schulen

Wir fordern einen erleichterten Zugang zur Vermittlung von antifaschistischen Bildungs­angeboten im Schulunterricht. Der Kontakt zu Zeitzeug*innen der NS-Verbrechen sollte – wo immer er noch möglich ist – gefördert werden. Außerdem sollten Nachfahren von Opfern des Naziregimes in die Schulen eingeladen und Filme, in denen Zeitzeug*innen über ihre Erlebnisse berichten im Unterricht gezeigt werden.

  1. Birthler-Erlass zur Friedenserziehung

 

Während ihrer Amtszeit als Bildungsministerin des Landes Brandenburg veröffentlichte Marianne Birthler einen Runderlass, der die Berufs- oder Nachwuchswerbung der Bundeswehr an Schulen untersagt. Außerdem war in dem Erlass festgelegt, dass, falls Vertreter der Bundeswehr in den Unterricht eingeladen werden, auch Kriegsdienstverweigerern und Mitgliedern von Friedensorganisationen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, ihre Positionen im Unterricht darzustellen. Die VVN-BdA fordert, diesen Erlass zu erneuern und in allen Schulen konsequent umzusetzen.

  1. Abschaffung der Schleierfahndung

Das Land Brandenburg soll rassistische Polizeimaßnahmen unterbinden. Dazu gehört ein Bruch mit der Praxis des Racial Profiling, also die Abschaffung der verdachts- und ereignisunabhängigen Polizeikontrollen (Schleierfahndung) an den Landesgrenzen, Bahnhöfen und in Verkehrsmitteln.

  1. Humanistische Flüchtlingspolitik ohne Sammellager und Abschiebeknast

Landtag und Landesregierung sollen nicht den Forderungen der AfD und anderer menschenfeindlichen Kräfte nachgeben, sondern sich einer humanistischen Flüchtlingspolitik verpflichtet fühlen.

Diese soll Schutzsuchenden und ihren Familien dauerhafte Bleibe- und Integrationsperspektiven bieten, statt sie jahrelang in Sammellagern zu isolieren. Wir fordern einen Verzicht auf ein Abschiebegefängnis am Flughafen BER.

Wir würden uns freuen, wenn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Forderungen nicht nur in ihr Wahlprogramm aufnehmen, sondern sich auch für ihre Umsetzung engagieren würden.

Außerdem wären wir Ihnen verbunden, wenn Sie uns mitteilen, welche Gründe Sie bewogen haben unsere Forderungen in Ihr Wahlprogramm aufzunehmen oder sie nicht aufzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

LV Brandenburg e.V. – Der Landesvorstand –